In der Ruhe liegt die Kraft

15. Mai 2018

 

Toni Hasler, Trainer und Lebenspartner von Natascha Badmann, hat schon vor zwanzig Jahren damit begonnen, die Trainingspläne der siebenfachen Hawaii-Siegerin rund um die Erholungszeiten zu planen. Damit stellte er die Ruhephasen über alles andere – und dies zurecht. Denn sportliches Training ist nicht eine Aneinanderreihung möglichst vieler körperlicher Belastungen, sondern setzt sich zusammen aus Belastung und Erholung. Erst in der Erholungszeit spielen sich im Körper die Anpassungserscheinungen ab, die zu einer Steigerung der Leistungsfähigkeit führen. Dieser Effekt bildet die Grundlage des sportlichen Trainings, denn wenn wir es schaffen, unseren Körper im richtigen Moment mit dem richtigen Reiz zu fordern, erreichen wir die optimale Verbesserung unserer Leistungsfähigkeit und erklimmen Stufe für Stufe ein nächsthöheres Level. Wie bei einer Pyramide werden dabei die oberen Stufen auf den unteren aufgebaut.

Die grosse Frage in Sachen Regeneration aber lautet: Wie viel Erholung braucht es nach welcher Belastung? Die Erholungszeit nach einer ganz lockeren Trainingseinheit dauert entsprechend kurz und nur wenige Stunden, nach einem intensiven Lauftraining oder kurzen Wettkampf hingegen bereits mehrere Tage. Und ein Marathon am Limit bedingt eine Zeit von mehreren Wochen bis gar Monaten, bis sich der Körper vollständig davon erholt hat. 

Ob locker oder hart ist zudem individuell unterschiedlich. Wenn ein Laufprofi eine Stunde im 5-Minuten-Schnitt joggen geht, braucht er nur wenige Stunden, bis sein Körper wieder 100 Prozent bereit ist, bei einem Hobbyläufer hingegen kann eine einstündige Laufeinheit in diesem Tempo bereits ein anspruchsvolles Training sein, welches den Körper auszehrt. 

 

Die nötige Erholungszeit ist also von zahlreichen Faktoren abhängt, die nicht pauschal in einer Zahl wiedergegeben werden können. So sind auch die Erholungszeiten, die moderne Sportuhren ausspucken, mit grosser Vorsicht zu geniessen. Sie berechnen die Zeiten anhand persönlicher Daten sowie mit Algorithmen, die auf die breite Masse und Durchschnittswerte abgestützt sind und daher nur bedingt dem Individuum gerecht werden. Immerhin kann man sagen: Je mehr persönliche Infos und Erfahrungswerte die Uhren über den Anstrengungsgrad messen (z. B. wenn in Kombination mit Tempi auch die Pulswerte oder die Herzfrequenzvariabilität gemessen werden), desto genauer können sie individuelle Werte ermitteln.

Was die Angaben zur passenden Erholungsdauer zusätzlich erschwert: Je nach Massnahme kann man eine Erholungszeit optimieren oder aber auch erschweren, vor allem nach intensiven Beanspruchungen. Wichtig ist beispielsweise unmittelbar nach einer Belastung die rasche Wiederauffüllung der Flüssigkeitsspeicher sowie eine kohlenhydrat- und eiweissreiche Ernährung in den Tagen danach. Auch Auslaufen, Stretching, Gymnastik, Spazieren, lockeres Traben oder Bewegungsformen wie Wandern und Schwimmen oder passive Massnahmen wie Sauna, Massage, Schlaf, Wärmebad begünstigen die Regeneration. Ebenso bewährt haben sich Entspannungstechniken wie Yoga, autogenes Training oder Meditation. Doch allgemein gilt auch auch da: Die konkrete Wirkung einer Massnahme ist kaum messbar, individuell unterschiedlich und auch von den Gewohnheiten eines Sportlers abhängig.

 

Entscheidend ist: Belastung und Erholung gehören zum sportlichen Training, so wie siamesische Zwillinge zusammengehören. Wer aus Zeitmangel als erstes die Regeneration sausen lässt und im Hinblick auf eine bevorstehende sportliche Herausforderung mit dem Training überzieht, wird eher früher als später die Quittung dafür erhalten. Im Leistungssport besteht die Kunst schon lange nicht mehr darin, den Trainingsumfang zu steigern, sondern darin, das Training qualitativ zu steigern sowie die Regenerationszeit zu verkürzen, damit baldmöglichst wieder ein sinnvoller Trainingsreiz gesetzt werden kann. 

Volkssportler sollten das Ganze so angehen, indem sie aufmerksam die Reaktionen des eigenen Körpers auf einzelne Belastungen wahrnehmen. Je mehr Erfahrungswerte man hat, desto besser wird das Körpergefühl und desto intuitiver findet man den passenden Moment, wo man wieder einen neuen, passenden Reiz setzen kann. 

Die einzelnen Erholungsphasen, die nach Extrembelastungen ablaufen

Das passiert im Körper

Nach 4-6 Minuten: Vollständige Auffüllung der muskulären Creatinphosphat-Speicher
Nach 30 Minuten: Die Herz- und Atemfrequenz, der Blutdruck und der Milchsäurespiegel im Blut haben sich normalisiert. 
Nach 90 Minuten: Der Neuaufbau von zerstörtem Muskeleiweiss beginnt. Es erfolgt der Wechsel von abbauenden zu aufbauenden Stoffwechselvorgängen.
Nach 6-24 Stunden: In den ersten sechs Stunden erfolgt die erste Speicherfüllung (Kohlenhydrate), der Ausgleich des Wasser- und des Elektrolythaushaltes (z.B. Magnesium und Eisen). Normalisierung des Verhältnisses fester und flüssiger Blutbestandteile (Hämatokrit).
Nach 24 Stunden: Auffüllung der Kohlenhydratspeicher in der Leber
Nach 2-7 Tagen: Auffüllen der Kohlenhydratspeicher in der beanspruchten und unter Umständen (teilweise) zerstörten Muskulatur.
Nach 3-5 Tagen: Auffüllen der muskulären Fettspeicher
Nach 3-10 Tagen: Wiederherstellung der defekten Muskelfasern.
Nach 7-14 Tage: Wiederherstellung der Energiebereitstellungssysteme in den Zellen. Allmählicher Wiedergewinn der vollen muskulären aeroben Leistungsfähigkeit
Nach 7-21 Tagen: Psychische Erholung
Nach 4-8 Wochen: Abschluss der Regeneration nach einem Marathon oder einem Ironman

(Quellen: Kuno Hottenrott, Regeneration aus sportmethodischer Sicht, Georg Neumann, Regeneration aus sportmedizinischer Sicht.)

Die wichtigsten Erholungsmassnahmen

So lädst du deine Batterien auf!

Auslaufen: Unter Auslaufen versteht man ein lockeres Traben mit niedrigster Intensität, ein sich bewegen, um die Durchblutung anzuregen. Das kann unmittelbar nach einer sportlichen Betätigung erfolgen, nach einer langen und intensiven Belastung aber auch erst am Tag oder in den Tagen danach (z. B. nach einem Marathon).

Ernährung: Der Mangel an Flüssigkeit und Energie sollte möglichst schnell mit kohlenhydratreicher und eiweissreicher Kost ausgeglichen werden. Kohlenhydrate können unmittelbar nach der Belastung auch in Form von Flüssigkeit eingenommen werden.

Stretching: Ein ausgiebiges Dehnen regt die Durchblutung an und fördert die Geschmeidigkeit der gesamten Muskulatur. Stretching entspannt sowohl Körper wie Seele und fördert das Körperbewusstsein.

Duschen: Das Duschen unmittelbar nach einer Belastung regt die Durchblutung an. Heiss/kalte Wechselduschen wirken oft Wunder. Auch ein heisses Bad wirkt entspannend auf Körper und Seele.

Massage: Wo sich die Möglichkeit einer Massage bietet, sollte man sie nutzen (z. B. im Ziel eines grossen Wettkampfes). Eine Massage unmittelbar nach einer Belastung dient der Entspannung. Sie lockert die verhärtete Muskulatur und macht sie geschmeidig. Als Alternative kann man sich durchaus auch selber mit einigen wenigen gezielten Handgriffen massieren. 

Entspannungstechniken: Diese Formen der Erholung (z. B. autogenes Training oder Meditation) haben den grossen Vorteil, dass sie fast immer und überall angewendet werden können. Mentale Entspannungstechniken sind vor allem in angespannten Stresssituationen wirkungsvoll).

Schlaf: Nicht zu unterschätzen im Regenerationsprozess ist die Bedeutung des Schlafs. In den verschiedenen Phasen des Schlafes laufen wichtige Prozesse ab, die den Körper wieder in Leistungsbereitschaft versetzen. Genügend Schlaf ist besonders in Zeiten intensiven Trainings enorm wichtig. Die Profis machen es vor: Für sie gehört ein Mittagsschläfchen zum Alltag.

Ruhe: Ein gutes Buch zur Hand nehmen, Beine hoch lagern und nichts tun: Simpel, aber nicht zu unterschätzen.

Die beschriebenen Erholungsmassnahmen können in unterschiedlicher Reihenfolge kombiniert werden und sollten sinnvollerweise ein Bestandteil des sportlichen Alltags sein.

 

 

 

 

Foto:iStock.com

 

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