Was bringt Dehnen?

30. Mai 2019

Stretching dehnt nicht nur die Muskeln, sondern ist auch als Begriff dehnbar, das Wann und vor allem Wie oft Auslegungssache. Die wichtigsten Punkte, die es beim Dehnen zu beachten gilt.

 

Soll überhaupt gedehnt werden? Bringt es etwas? Und wenn ja, wann und wie genau? Fragen zum Stretching, denen die Wissenschaft zwar in diversen Studien nachgegangen ist, auf die sie aber bislang keine einheitlichen Antworten gefunden hat. Und auch im Alltag der Sportler wird das Thema ganz unterschiedlich gehandhabt. Schwimmer machen vor dem Start eine Art Schwunggymnastik mit Dehnelementen, Sprinter explosive Hüpfsprünge, Velorennfahrer sitzen auf der Rolle. Und Langstreckenläufer stretchen eher nach dem Training die Oberschenkel. Fragt man zehn Sportler, wie sie dehnen, erhält man elf verschiedene Antworten. Im Folgenden versuchen wir daher etwas Ordnung ins Stretching-Thema zu bringen. Grundsätzlich gibt es drei Situationen, in denen gedehnt werden kann:

  • Vor dem Training = Vordehnen.
  • Nach dem Training = Nachdehnen.
  • Dehnen als eigenständige Trainingseinheit.
 

 

Karin Albrecht, eine der bekanntesten Stretching-und Beweglichkeits-Expertinnen der Schweiz, empfiehlt «nach jedem Training ein Nachdehnen». Die Dehnung «soll zwischen 12 und 90 Sekunden dauern, dem Gefühl entsprechend», genauer wisse es leider niemand. Nach einem sehr anstrengenden Laufwettkampf hingegen sollte man nicht dehnen, da die Muskulatur sowieso schon stark beansprucht und allenfalls teils Strukturen beschädigt seien.

Die Art des Dehnens direkt vor einer sportlichen Anstrengung ist abhängig von der nachfolgenden sportlichen Belastung. Bei explosiven Bewegungen (Mannschaftsspiel, Sprünge, Sprints) sollte der Muskel nicht statisch vorbereitet werden. «Ein starres, statisches Dehnen vor einem Training hat keine positive Wirkung, sondern für Schnellkraftsportler sogar negative Auswirkungen», sagt Karin Albrecht. Der Muskel muss vor einer Belastung nicht entspannt werden, sondern sollte mit entsprechenden Übungen auf die bevorstehende Belastung vorbereitet werden. Deshalb machen Sprinter noch im Startblock explosive Hüpfsprünge oder Schwimmer kreisen vor dem Startsprung energisch mit ihren Armen. Bei Sportarten, welche eine maximale Beweglichkeit erfordern (wie Kunst- oder Geräteturnen), ist regelmässiges und intensives Dehnen erforderlich und unerlässlich.

 

Dauermodus braucht kein Vordehnen

Ausdauersportler und speziell Läufer müssen vor dem Training nicht zwingend dehnen. Sie können auch einfach gemächlich loslegen und sich so warmlaufen. Auf der anderen Seite spricht in diesem Fall aber auch nichts zwingend gegen Stretching. «Wollen Ausdauersportler vor dem Training oder Wettkampf dehnen, dürfen sie das ruhig tun, sofern sie es sich gewohnt sind und sie sich dabei wohlfühlen. Zu empfehlen ist dann aber ein dynamisches Dehnen», so Karin Albrecht.

Regelmässig Stretching als Ausgleich zum Trainingsalltag ist allen Sportlern zu empfehlen, es muss dann aber nicht zwingend vor dem Sport sein, sondern kann als Ausgleich auch am Abend vor dem Fernseher durchgeführt werden. Grundsätzlich gilt es sowohl vor als auch nach dem Sport diejenigen Muskelgruppen zu dehnen, die stark strapaziert werden. Für Läufer bedeutet dies: die hinteren, vorderen und inneren Oberschenkel, Waden-, Brust- und Nackenmuskulatur. Für Radfahrer kommen noch Hand und Arme hinzu.

Schutz vor Verletzungen?

Über die präventive Wirkung von Stretching bezüglich Verletzungen gibt es keinen wissenschaftlichen Konsens. Es konnte bislang nicht bewiesen werden, dass Stretching Verletzungen verhindern kann. Auf der anderen Seite ist es einleuchtend, dass mit regelmässigem Stretching die Beweglichkeit verbessert werden kann und eine höhere Beweglichkeit das Risiko verringert, beispielsweise bei Mannschaftssportarten im Zweikampf über die Beweglichkeitsgrenze hinaus zu geraten und eine Zerrung einzufangen. Für viele Sportler bedeutet Stretching zudem eine Ruhephase, das bewusste Hineinhören in den Körper verbessert die Körperwahrnehmung.

 

 

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