Interview mit Julien Wanders

10. Juli 2018

Julien Wanders ist der Überflieger in der europäischen Langstreckenszene. Der 22-jährige Genfer, der einen Grossteil des Jahres in Kenia lebt und trainiert, lief Ende März an den Halbmarathon-Weltmeisterschaften als bester Europäer auf den fantastischen 8. Rang! Aktuell bereitet er sich in St. Moritz auf die Leichtathletik Europameisterschaften in Berlin vor, wo er über 5000m und 10’000m starten wird.

Nach dem «Absturz» an der Athletissima hast du einen grossen Wandel durchgemacht, zahlreiche Stadtläufe gewonnen, Schweizer Rekorde gebrochen und an den Weltmeisterschaften geglänzt. Was hat dazu geführt, dass du nun dein volles Potential ausschöpfen kannst? 

Nach der Athletissima hatte ich eine sehr schwere Zeit, aber dann habe ich mir wirklich die Frage gestellt «Woran hakt es?», und ich habe verstanden, dass es kein körperliches Problem war, sondern ein mentales. Ich habe daran gearbeitet und mir gesagt, dass es nichts bringt, sich so viel Druck für die Läufe zu machen... Es muss mir wieder Spass machen. Das Ziel ist wirklich, Spass beim Laufen zu haben und das habe ich tatsächlich bei den Stadtläufen wiedergefunden. Danach habe ich bei den Strassenläufen richtig gut abgeschnitten und das hat mir das Vertrauen zurückgegeben. Ich denke, das war der Schlüssel: Mir keinen Kopf zu machen und einfach zu laufen, wie ich es kann, ganz ohne Druck.

Du bereitest dich aktuell in der Höhenlage des Engadins auf die Europameisterschaften vor. Wie sieht dein Trainingsalltag aus?

Gerade ist ja die Stadion-Saison – im Sommer absolvieren wir ein paar Einheiten mehr auf der Bahn. Ich würde sagen, an einem typischen Tag stehe ich um 6 Uhr morgens auf und absolviere mein erstes Training um halb sieben - entweder ich jogge 50-60 Minuten, oder ich mache eine Trainingseinheit auf der Bahn oder auf der Strasse. Anschliessend frühstücke ich, ruhe mich ein wenig aus und nach dem Mittagessen geht es gegen drei oder halb vier weiter mit einem Krafttraining in der Sporthalle, kombiniert mit maximal 40 Minuten Jogging.

 

Kenia ist zu deiner zweiten Heimat geworden. Auch da profitierst du unter anderem von der Höhenluft. Welche anderen Faktoren machen es aus, dass du immer wieder dorthin zurückkehrst, um dich auf deine läuferischen Ziele vorzubereiten?

Für mich ist Kenia ganz klar die perfekte Umgebung, um mich zu verbessern und meine Ziele zu erreichen. Ich habe aussergewöhnliche Gruppen-Trainings auf einem absolut verrückten Niveau - jeden Tag muss ich die Messlatte höher anlegen! Dazu kommen die Höhenluft und das hügelige Gelände - beides sehr anspruchsvoll für die Muskeln, aber auch dadurch verbessere ich mich enorm. Und abgesehen vom Training gefällt mir auch das Leben dort, ganz ohne Stress. Deswegen habe ich beschlossen, praktisch das ganze Jahr über dort zu trainieren.

Du läufst mit einer beneidenswerten Leichtigkeit über die Bahn oder den Asphalt. Welche drei Tipps soll sich ein Hobbyläufer beherzigen, um sich dir ein Stückchen anzunähern?

Auch wenn ich Langstreckenläufer bin, legen mein Trainer und ich Wert auf die Details, d. h. die dynamische Arbeit. Wir haben viel Fussarbeit gemacht, um genau diese Dynamik zu bewahren, denn das ist wichtig. An der Leichtigkeit kann man arbeiten, auch wenn das jetzt wie ein Widerspruch klingt, indem man viele Kilometer macht. Man lernt, mit immer weniger Unterbrechungen zu laufen und bekommt eine natürliche Leichtigkeit, wenn man viele Kilometer macht und viel trainiert. Je mehr man trainiert, desto leichter findet man seinen eigenen Rhythmus. Und mein letzter Tipp wäre, dass man selbst als Marathonläufer nicht die Arbeit an der Geschwindigkeit vernachlässigen sollte, denn auch dadurch können wir ein wenig unseren Gang verändern. Als Langstreckenläufer tendiert man gerne zu einem etwas schwereren Gang; wenn wir also an der Schnelligkeit arbeiten, bekommen wir diese Leichtigkeit zurück, selbst wenn wir ein langsameres Tempo anschlagen.

 

Gibt es einen Geheimtipp, den du uns preisgeben kannst?

Ich habe es schon öfter gesagt: Für mich liegt das Geheimnis in der Ausdauer. Selbst für die Mittelstrecke braucht es eine richtig gute Ausdauer - dadurch kommen die Leistungen zustande. Man sagt, dass ich fast wie ein Marathonläufer trainiere, aber das ist nicht ganz falsch, und ich denke, dass ich deswegen in diesem Winter und in der letzten Zeit so gute Leistungen gebracht habe. Was die Ernährung betrifft, so würde ich empfehlen, so einfach wie möglich zu essen und sich nicht den Kopf über komplizierte Mengenberechnungen o. ä. zu zerbrechen. Iss, wenn du Hunger hast und gönn’ dir auch ab und an einmal etwas - das hat noch niemandem geschadet.

Foto: ZVG

Wir danken Julien Wanders für die spannenden Antworten.

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