Interview mit Morgan Le Guen

25. Januar 2022

Erst vor fünf Jahren wurde Morgan Le Guen durch den Film "Free to Run" von Pierre Morath zum Laufen inspiriert. Seitdem scheint es für den Genfer praktisch keine Grenzen mehr zu geben. Anfang des Jahres beendete er die 10 km von Valencia in 28:26 Minuten und schob sich damit auf den dritten Platz der ewigen Schweizer Bestenliste. Nur Julien Wanders und Markus Ryffel liefen diese Distanz schneller.

Du hast relativ spät mit dem Laufen begonnen. Was sind deiner Meinung nach die drei wichtigsten Faktoren, die zu deinem kometenhaften Aufstieg beigetragen haben?

Ich sehe meinen späten Einstieg in den Laufsport insofern nicht als Nachteil an, als ich sicherlich über mehr psychologische Frische verfüge als Läufer, die seit ihrer Kindheit wettkampfmässig unterwegs sind. Hinzu kommt, dass ich, soweit ich mich erinnern kann, immer körperlich aktiv war, was zur Entwicklung einer guten aeroben Kapazität beigetragen hat. Schliesslich ist meine mentale Stärke der Schlüssel zu meinem Erfolg. Ich bin in der Lage, mir ein grosses Trainingspensum aufzuerlegen und auch unter Schmerzen sehr weit zu gehen...

Mit Abraham Tadesse, Sullivan Brunet und Julien Wanders verfügt Genf über zahlreiche hochkarätige Langstreckenläufer. Trainiert ihr zusammen? Und wie sieht eine typische Trainingswoche bei dir aus?

Mit Tadesse, Sullivan und Zouhair (Oumoussa) haben wir während des Lockdowns eine kleine Trainingsgruppe gegründet, um schöne Einheiten zu absolvieren, die jeden von uns weiterbringen könnten, und das unter Einhaltung der Gesundheitsvorschriften. Das Niveau war verrückt, wir absolvierten jedes Wochenende Halbmarathons in 64-66 Minuten in Wochen mit über 150 km. Mit Julien trainierte ich drei Wochen lang in Kenia und sporadisch in Genf.

Heute entspricht meine typische Woche einem Volumen von etwa 150-160 km, verteilt auf 12 Trainingseinheiten mit einem Ruhetag am Sonntag. Das bedeutet, dass ich zweimal täglich trainiere, wobei ich jeden Tag eine Ausdauer- oder qualitative Einheit (abwechselnd jeden zweiten Tag) und einen Erholungslauf absolviere, sowie einen langen Lauf am Wochenende. Daneben fahre ich etwa 100-150 km pro Woche mit dem Fahrrad, die meiste Zeit locker, was mir eine sehr gute Grundlage verschafft.

 

Was sind deine drei wichtigsten Trainingstipps für Hobbyläufer, damit 2022 ein Erfolg wird?

Erstens würde ich sagen, dass man immer den Slogan 'make it fun' anwenden sollte. Laufen ist ein anspruchsvoller und schwieriger Sport, wenn man sich entscheidet, ihn wettkampfmässig zu betreiben. Es ist unerlässlich, dass man Spass daran hat, sonst gibt es keine Fortschritte und eine negative Routine kann sich einstellen.

Zweitens ist die mentale Vorbereitung im Vorfeld der körperlichen Vorbereitung von entscheidender Bedeutung. Sie ist die Basis der Pyramide, ohne die der Rest nicht funktionieren kann. Sie zielt darauf ab, ein Klima des Vertrauens um den Sportler herum zu schaffen, das seine Leistungsbereitschaft beeinflusst.

Schliesslich pflegt mein Coach zu sagen: "Es ist der Plan, der sich dem Athleten anpasst, nicht umgekehrt", und meine (bescheidene) Erfahrung hat mir gezeigt, dass wir in der Tat "selbst" unser bester Coach sind. Man muss also unbedingt auf sich selbst hören und je nach Gefühl den Fuß vom Gas nehmen (oder auf das Gaspedal treten). Natürlich ist ein Trainer unerlässlich, um die Richtung vorzugeben.

Kannst du uns dein Lieblingstraining einerseits und das Training, vor dem du den grössten Respekt hast, andererseits beschreiben?

Ich mag es sehr, wenn mehrere Personen auf der Bahn trainieren und jeder eine Wiederholung absolviert (z. B. einen 400-Meter-Lauf bei einem 25x400-Training). Der Gruppeneffekt ist berauschend und so kann man Einheiten laufen, die man für unmöglich gehalten hätte.

Da ich eher das Profil eines Marathonläufers habe, beeindrucken mich die spezifischen Einheiten von 800-m-/1500-m-Läufern. Das ist eine Anstrengung, vor der ich mich fürchte, und man muss mit Laktat gezüchtet worden sein, um sie zu geniessen!

Gibt es einen Geheimtipp, den du gerne verwendest und den du uns verraten kannst?

Es gibt nicht wirklich ein Geheimnis, es geht vor allem um Arbeit und Entschlossenheit.... Aber ich versuche, jedes Training zu geniessen, auch wenn ich müde oder weniger motiviert bin, einen tadellosen Lebensstil zu pflegen und die Erholung trotz eines Vollzeitjobs so weit wie möglich zu optimieren. Das heisst, eine vegetarische Ernährung, eine gute Flüssigkeitszufuhr, guter Schlaf sowie jede Woche eine Massage und Kryotherapie.

Schliesslich rate ich jedem Athleten, sich mit wohlwollenden und kompetenten Menschen zu umgeben, die ihm positive Schwingungen verleihen und dich nach oben ziehen! Ohne meine Familie, meine Freundin, meinen Trainer oder meinen Mentaltrainer wäre ich nicht da, wo ich heute bin.

 
Foto: zvg