Interview mit Nicole Egger

4. Juni 2019

Nicole Egger darf als Laufsport-Spätzünderin bezeichnet werden: Im Alter von 29 Jahren begann sie erst ambitioniert zu trainieren. In den letzten 5 Jahren hat sie sich stetig verbessert und in dieser noch jungen Saison bereits zwei Schweizermeistertitel gewonnen sowie beim international besetzten Grand-Prix von Bern den 2. Platz erreicht!

Während andere im Alter von 34 Jahren den Fokus von der Jagd auf Bestzeiten auf das Erlebnis richten, eilst du von Wettkampf zu Wettkampf, von Sieg zu Sieg. Was treibt dich an und welches sind in deinen Augen die drei wichtigsten Punkte, die zum Erfolg führen?

Die Freude am Laufen und an der Bewegung allgemein treibt mich an, sowie die sportlichen Ziele, die ich noch erreichen möchte. Motivierend sind auch die Fortschritte, die ich bisher kontinuierlich machen konnte.

Die folgenden drei Punkte erachte ich für den Erfolg als wichtig:

  • Zielstrebigkeit und Wille, alles zu geben bei gleichzeitiger Lockerheit, falls mal etwas nicht funktioniert oder nicht so rasch, wie man es gerne hätte.
  • Eine gute Balance zwischen Belastung und Erholung, dazu gehört auch ein gutes Körpergefühl. Eine Einheit darf auch mal alternativ absolviert oder gestrichen werden, wenn sich die Muskeln müde anfühlen oder gar schmerzen.
  • Regelmässiges Arbeiten an der Lauftechnik durch Lauf- ABC- Übungen und Koordinationsläufe. Dies erhöht die Laufeffizienz und beugt Verletzungen vor.
 

Im Gegensatz zu anderen Läuferinnen, die strikt einen Trainingsplan befolgen und damit Erfolg haben, lässt du dich von der Lust und Laune leiten. Wie sieht eine typische Trainingswoche bei dir aus? Wie viele Einheiten und wie viele Kilometer läufst du? Was steht ergänzend auf dem Programm?

Ich trainiere nicht gerade nach Lust und Laune, aber ich passe meine Trainings spontan den beruflichen Anforderungen sowie der körperlichen Verfassung an. Daher gibt es auch keine typische Trainingswoche. Ich entscheide von Tag zu Tag, was auf dem Programm steht. Ich trainiere zwischen 6- und 10-mal und laufe durchschnittlich um die 60km pro Woche. Daneben ist mein Training sehr vielseitig: Lauftechnik, Krafttraining, Stepper, Rennvelo, seltener auch Inlineskaten, Rudern oder Schwimmen, im Winter Skifahren.

Nicht selten kommt es vor, dass du an Wochenenden gleich an zwei Rennen startest. Welches sind deine kurz- und langfristigen sportlichen Ziele?

In der kommenden Saison möchte ich meine Bestzeiten auf allen Distanzen nochmals verbessern und wenn möglich einen weiteren Schweizermeistertitel holen. Langfristig möchte ich mal an einer EM teilnehmen können, sei es im Halbmarathon, Cross oder über 10'000m. Noch etwas langfristiger möchte ich die Trainingskilometer nochmals erhöhen und mich auf die Marathon-Strecke wagen.

Dein später Start in der Wettkampfszene könnte viele dazu motivieren, es auch noch zu probieren. Welche Trainingsprinzipien haben dich rückblickend am meisten weitergebracht?

Für mich ist das Prinzip der Vielseitigkeit zentral für den Erfolg. Auch wenn man spät beginnt, ist es sinnvoll, die Laufkilometer nicht zu schnell zu steigern, da Verletzungen sonst wahrscheinlich sind und die Motivation schnell verloren gehen kann. Die Vielseitigkeit im Training sollte besonders am Anfang der «Laufkarriere» auch von Späteinsteigern verfolgt werden. Einerseits die Vielseitigkeit im Lauftraining selbst, das heisst, von langsamen längeren Läufen bis zu Intervall-Trainings oder Tempoläufen steht alles auf dem Programm. Andererseits die Vielseitigkeit im gesamten Training, das heisst, dass nebst dem Lauftraining auch in Kraft, Beweglichkeit, Lauftechnik und Alternativtraining investiert wird. Je besser die einzelnen Bausteine «Kraft, Beweglichkeit und Technik» ausgebildet sind, umso mehr kann man die Laufkilometer erhöhen.

Gibt es einen Geheimtipp, den du uns preisgeben kannst?

Zwischendurch soll man etwas Neues ausprobieren und den Gewohnheitstrott unterbrechen, damit der Körper neue Anpassungen machen muss und sich weiterentwickeln kann. Ich als Langstreckenläuferin mache beispielsweise zur Abwechslung auch mal ein Mittelstreckentraining oder -rennen oder nehme an einem Triathlon-Wettkampf teil. Beim Krafttraining schaue ich, dass ich nicht immer dieselben Übungen mache. Weiter kann beim Lauftempo und der Laufstreckenwahl variiert werden. Mit etwas Kreativität macht es auch sofort viel mehr Spass.

Foto: ZVG