Interview mit Susanne Rüegger

6. Juni 2018

Zum ersten Mal wird Susanne Rüegger in diesem Jahr die Schweiz als Aktive an einem Grossanlass vertreten. Die ausgebildete Bewegungswissenschaftlerin und Sportlehrerin komplettiert die ambitionierte Marathon-Equipe am 12. August.

Im Alter von 34 Jahren wirst du dir das erste Mal das Nationaldress überstreifen. Mit welchen Gefühlen und Erwartungen reist du nach Berlin? 

...eigentlich fühle ich mich noch gar nicht so alt :-)
Ich freue mich riesig, dass ich Teil des Marathonteams bin und die Schweiz vertreten darf. Für mich geht damit ein Traum in Erfüllung. Lange habe ich dafür gekämpft. Immer wieder wurde ich durch diverse Unfälle und Verletzungen ausgebremst. Dass es nun endlich geklappt hat, ist genial. Natürlich möchte ich nicht nur einfach dabei sein, sondern auch zeigen, dass ich dahin gehöre. Es wäre schön, wenn ich eine gute Marathonzeit laufen könnte, welche auch in die Mannschaftswertung einfliessen wird. 

Auf der Marathonstrecke verfügst du noch nicht über so viel Erfahrung. Wie bereitest du dich auf die grosse Herausforderung vor, und wie gehst du mit dem Druck und der Erwartungshaltung um? 

Das stimmt, im Vergleich zu anderen Marathonläuferinnen habe ich mit meinen 5 Marathons erst wenig Erfahrung. Ich konnte bisher auch noch nie eine ideale Marathonvorbereitung durchziehen. Es würde mich freuen, wenn es diesmal klappen würde. Mein Fokus liegt ganz klar auf dem 12. August. Ich habe einige Anpassungen vorgenommen, um mich möglichst gut auf die EM vorzubereiten. Dazu gehören 2 längere Aufenthalte im Engadin, was mir durch reduzierte Arbeit, meine Sponsoren und super Stellvertreterinnen ermöglicht wurde. Auf meinem Weg an die EM stärkt mir auch mein Umfeld meinen Rücken. Insbesondere erhalte ich grosse Hilfe von meiner Trainerin und ihrem Ehemann sowie meinem Verein (Leichtathletik Klub Zug), der mich ebenfalls sehr grosszügig unterstützt. 

Noch fühle ich mich nicht so unter Druck, aber das kommt bestimmt noch. Wahrscheinlich mache ich mir selber am meisten Druck. Schlussendlich werde ich mein Bestes geben und hoffen, dass mich meine Beine schnell ins Ziel tragen.

 

In den letzten 12 Monaten wurdest du verschiedentlich durch die Verletzungshexe ausgebremst. Welches sind deine Learnings aus dieser Zeit? Welche Anpassungen hast du in deinem Trainingsalltag vorgenommen?

Ja, bisher blieb ich von Verletzungen und Unfällen nicht verschont und musste immer wieder längere Zeit ohne Lauftrainings auskommen. Zum Glück bin ich sehr polysportiv, so dass ich mich während diesen Momenten mit Biken, Schwimmen, Aqua-Fit und anderen Sportarten fit halten konnte. Trotzdem kann nichts das Laufen ersetzen: Ein Marathonläufer muss laufen können. 

Ich habe gelernt, viel mehr auf meinen Körper und mein Gefühl zu hören. Meistens weiss ich ziemlich genau, wenn etwas nicht stimmt. Darauf zu reagieren und dann die Bremse zu ziehen, war und ist noch immer nicht ganz einfach. Aber hier gilt: «Weniger ist mehr». Es ist besser, ein oder zwei Tage zu pausieren oder alternativ zu trainieren, als mit Schmerzen oder Müdigkeit ein Training durchzuzwängen. Das bringt einfach rein gar nichts. Auch wenn es ein harter Arbeitstag war, ist es manchmal sinnvoller, nur ein leichtes Training zu machen, statt den Körper noch mehr zu fordern oder gar zu überfordern. 

Ein entscheidender Punkt ist auch die Regeneration. Dazu gehören in erster Linie genügend Schlaf, genügend Flüssigkeit und eine ausgewogene Ernährung.

Ich habe das Glück, dass ich mit den Trainings gut vor- und nachgeben und selber entscheiden kann, wann etwas zu viel wird. Entscheidend für mich ist, so zu trainieren, dass es für mich stimmt. Ich glaube, man darf sich auch nicht mit anderen vergleichen. Jeder Athlet ist anders und braucht eine individuell angepasste Vorbereitung. Ich finde es wichtig, dass man mit Überzeugung trainiert, dann kommt es auch gut. 

 

Welches sind in deinen Augen die wichtigsten Punkte, die zum Erfolg führen? 

Zum Erfolg verhelfen sicher ein starker Wille, Zielstrebigkeit, ein gesunder Ehrgeiz, eine gewisse Lockerheit, etwas Talent und in meinem Fall ganz viel Ausdauer. Am Wichtigsten finde ich aber die Freude am Sport. Nur wer mit voller Hingabe seinen Sport ausübt, wird auf Dauer Erfolg haben. 

Entscheidend für den Erfolg sind sicher auch ein tolles Umfeld, eine verständnisvolle Trainerin und gute Arbeitsbedingungen. Schliesslich sind es ganz viele kleine Puzzle-Teilchen, die zusammenpassen müssen, damit aus dem Tag X, der perfekte Tag wird. Man darf nie aufgeben, auch wenn es hart oder anstrengend wird oder auch, wenn für einen Moment das Licht am Ende des Tunnels nicht sichtbar ist. In dieser Situation ist es wichtig, immer das Beste aus der Situation zu machen und sich nicht selber zu zermürben. Es gibt immer einen Weg und es gibt immer etwas, was man verbessern kann. Das macht es ja auch spannend. 

Gibt es einen Geheimtipp, den du uns preisgeben kannst? Einen Trainings-, Ernährungs- oder Erholungstipp zum Beispiel.

Mein Trainingstipp: Immer auf den Körper hören und die Gefühle nicht ignorieren. Bewusst vor- und nachgeben, auch einmal ein Training weglassen (ohne schlechtes Gewissen!). Manchmal ist es sinnvoller, dem Körper Ruhe zu gönnen. Er wird es dir beim nächsten Training danken. 

Mein Ernährungstipp: Die Ernährung spielt eine entscheidende Rolle. Am Wichtigsten ist genügend Flüssigkeit, um auch die Regeneration zu beschleunigen. Ich glaube aber, dass es keinen Superfood braucht. Für mich muss es eine saisonal ausgewogene gesunde und vor allem genussvolle Ernährung sein. Da ist auch mal Süsses erlaubt und zu einem feinen Abendessen gehört auch ab und zu ein guter Tropfen Wein. 

Mein Erholungstipp: Genügend Schlaf und auch einmal etwas Abwechslung – die Seele baumeln lassen und gedanklich ganz weit weg von allem sein. Das hilft, frische Energie zu tanken. Wenn es das Wetter zulässt, mache ich das zum Bespiel auf dem Stand Up Paddle: Auf den See hinaus paddeln – hinlegen und einfach mal eine Weile nichts tun. :-)

Foto: ZVG