Das Fluorverbot ist in Kraft getreten – was genau bedeutet das?

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Nach mehreren Verschiebungen ist es nun so weit: Die FIS und die IBU setzen das Verbot von Fluor im Schneesport auf diese Saison hin um. Für den Weltcup scheint die Sache klar, für viele andere Wettkämpfe und den Hobbysport hingegen ist die Situation komplizierter. Was man zum Fluorverbot wissen sollte.

Das Fluorverbot ist im Schneesport das Thema der Stunde. Der Wirbel ist gross und die Verunsicherung noch grösser, denn viele Fragen sind noch offen. Zuerst aber kurz die Punkte, die bezüglich Fluorwachsen klar scheinen:

  • Seit 2020 sind von der EU sowohl Besitz wie auch Verkauf und Anwendung von C8-Fluorverbindungen verboten. Langfristig werden von der EU wohl alle Fluorverbindungen verboten.
  • Vom Internationalen Skiverband FIS und von der internationalen Biathlon Union IBU ist der Einsatz von Fluorwachsen aller Art für alle Rennen unter ihrer Hoheit verboten (also auch C6-Verbindungen). Die Durchsetzung des Verbots ist jedoch nach mehreren Verschiebungen erst auf die aktuelle Saison hin in Kraftgetreten.
  • Der Grund für das Verbot: Fluor schadet der Umwelt und steht auch im Verdacht, krebserregend zu sein. Es ist nicht abbaubar, kann beim Wachsen in die Atemwege eindringen und mit dem Abrieb von Pisten und Loipen in die Umwelt gelangen.
  • Im Fachhandel und somit auch im Breitensport ausserhalb des Renneinsatzes (Training) sind C6 Fluorwachse nach wie vor erlaubt und werden entsprechend weiterhin hergestellt und in Schweizer Wintersportgeschäften verkauft.
  • Durch ihre wasserabweisenden Eigenschaften sind Fluorwachse zumindest bei wärmeren Bedingungen herkömmlichen Wachsen deutlich überlegen. Beim Engadiner sprechen Experten bei einer Laufdauer von rund zwei Stunden von einem Zeitgewinn von rund 15 Minuten. Bei kalten Bedingungen sind alternative Wachse Fluorwachsen ebenbürtig oder gar überlegen.
  • Anders als bei einem Dopingvergehen werden «Fluor-Wachssünder» nicht bestraft, sondern lediglich disqualifiziert – was bereits beim ersten Skialpin-Rennen der Saison der Norwegerin Ragnhild Mowinckel widerfahren ist. Für die Betroffenen ist das vor allem im Spitzensport natürlich sehr ärgerlich, es schlägt aber – zumindest, wenn es auf unteren Rennstufen passiert – kaum Wellen.

Soweit die Fakten, doch aktuell gibt es noch viele Ungereimtheiten. Diese haben unter anderem dafür gesorgt, dass es bis zur Umsetzung des Verbots mehrere Anläufe brauchte.

Der grösste Knackpunkt ist die Kontrollierbarkeit. Die FIS hat zwar mittlerweile Testgeräte zur Verfügung, welche Fluor auf den Belägen detektieren können, doch nach den ersten Wochen der Umsetzung stellen sich diesbezüglich mehrere Fragen: Wie präzise sind die Geräte wirklich? Wie exakt werden Fluor-Verbindungen als solche erkannt? Detektieren die Geräte fälschlicherweise auch alternative und neu entwickelte Produkte ohne Fluor? Wie wenig Verunreinigung braucht es für einen positiven Materialtest? Und wie hoch ist das Risiko, Opfer einer gezielten Sabotage zu werden?

Diese Fragen treiben vor allem die Rennszene um, die sich berufsmässig mit der Sache befassen muss. Um auf der sicheren Seite zu sein, haben die Weltcupteams ihre Wachstrucks im Sommer daher klinisch gereinigt und verwenden ausschliesslich neue Werkzeuge. Insbesondere bei den Skibürsten ist bekannt, dass Fluorrückstände mit hoher Wahrscheinlichkeit zu positiven Testresultaten führen, auch wenn der fragliche Ski nie mit Fluor-Produkten gewachst wurde.

Deshalb wurden alte Ski aus der Fluor-Ära von den Skiteams gereinigt, neu geschliffen und im Sommer auf den FIS-Geräten getestet, bevor sie in den Non-Fluor-Arbeitsbereich aufgenommen wurden. Im Prinzip muss das Vorgehen dasselbe sein wie in der Küche eines Restaurants: Wer ausschliesslich vegan kocht, ist auf der sicheren Seite. Wer vegane Speisen neben klassischen Menus zubereitet, riskiert Verunreinigungen und muss eine zweite Küche haben.

Nur Stichproben möglich 

Die technischen Probleme mit der Genauigkeit der Geräte lassen sich sicherlich irgendwann lösen. Doch ein zweiter wichtiger Punkt beschäftigt die Wettkampf-Gemeinde: Die Überprüfbarkeit. Der springende Punkt ist die Menge der zur Verfügung stehenden, homologierten Testgeräte, von denen eines rund 30 000 Franken kosten soll. Die herumgereichten Zahlen bewegen sich zwischen einem Dutzend und rund 30 Stück – weltweit wohlverstanden!

Kaum Kontrollen ausserhalb Weltcup

Da kann man sich leicht ausrechnen, dass allenfalls im Weltcup oder an einer WM relativ seriös getestet werden kann, nicht aber bei zweitklassigen FIS-Rennen oder gar Hobby-Wettkämpfen. Dort steht aktuell – wenn überhaupt – höchstens eine stichprobenartige Prüfung zur Diskussion. Und auch die nur dann, wenn sich ein Organisator ein Gerät von der FIS (vermutlich samt Fachpersonal) ausleihen oder künftig ein von der FIS homologiertes Gerät erwerben könnte. Solange es aber nicht mehr Geräte gibt, diese nicht billiger werden und nicht alle Unsicherheiten geklärt sind, wird wohl kaum ein Veranstalter vorpreschen und entsprechend kann er nicht intensiv kontrollieren. Wodurch die Gefahr disqualifiziert zu werden, im Hobbysport aktuell noch ziemlich gering ist.

Dies wiederum verzerrt den Wettbewerb. Man stelle sich einen B-Kader-Athleten vor, der sich bei einem zweitklassigen FIS-Rennen für die erste Mannschaft empfehlen will (und empfehlen muss). Beim aktuell sehr geringen Risiko, erwischt zu werden, ist die Versuchung gross, beim Griff in die Wachskiste die Fluor-Dose zu zücken.

Dass die FIS und die IBU mit gutem Beispiel voran gehen und das Fluorverbot für alle Wettkämpfe auf ihren Stufen diesen Winter einführen, ist lobenswert. Und ebenso der Wille von Schweizer Breitensportveranstaltungen wie Engadiner, Gommerlauf oder La Diagonela usw., das Verbot mitzutragen und langfristig umzusetzen.

Und auch die Industrie zieht mit. Toko und Swix (Toko gehört der norwegischen Swix-Sport-Gruppe) haben gänzlich auf fluorfreie Wachse umgestellt. Andere stellen zumindest keine C8-Verbindungen mehr her, haben aber noch C6-Wachse im Sortiment für den Hobbysport, denn die Anwendung von C6-Fluorverbindungen im Training ist bislang noch nicht verboten.

Was langfristig der Durchsetzung des Fluor-Verbots hilft: Die neuen Rahmenbedingungen verstärken den Wettstreit unter den Firmen, neue, konkurrenzfähige und umweltfreundliche Wachse herauszutüfteln. Und auch die Sportgeschäfte unterstützen das Vorhaben und verkaufen keine C8-Verbindungen mehr.

Appell an Hobbysportler

Und der Hobbybereich? Aufgrund der beschränkten Kontrollierbarkeit beruht der Verzicht aktuell faktisch auf Freiwilligkeit. So muss sich jeder Sportler und jede Sport-
lerin selbst die Gewissensfrage stellen, obes ein paar Minuten Zeitgewinn wert sind, nach wie vor auf umweltschädliches Fluor zu setzen.

Es bleibt daher nur der Appell, im Sinne von Fairplay den Fluor-Produkten freiwillig den Rücken zu kehren. Denn mit Blick auf die Mengenverhältnisse ist nicht die Spitze des Eisbergs das Problem, sondern die grosse Masse. Oder anders ausgedrückt: Der Natur geht es nicht besser, wenn nur der Weltcup-Tross fluorfrei unterwegs ist, sondern erst dann, wenn alle fluorfrei wachsen.